Was ist ein Hibbelhund und wo ist die Grenze zum „normalen“ Hund?

Begriffe gibt es viele für solche Hunde: Zappelhunde, Hibbelhunde, nervöse Hunde, hyperaktive Hunde. Gemeint ist oft ein ähnlicher Typ Hund. Dennoch möchte ich vorab einmal definieren, was für mich und für diesen Artikel ein „Hibbelhund“ bedeutet.

Wie die Begriffe für diese Hunde schon vermuten lassen, handelt es sich um nervöse und meistens sehr sensible Zeitgenossen. Einen Menschen würde man sicher mit den Redewendungen „hat Hummeln im Hintern“ oder „hat ein dünnes Fell“ bezeichnen. Oft wirken diese Hunde fahrig und unkonzentriert, bringen keine Sache wirklich zu Ende und sind schnell abgelenkt. Daher scheint es oft so, als würden sie schlecht lernen. Warum das selten wirklich der Fall ist und wie man eine Atmosphäre schafft, in der auch dieser Hund lernen kann, erkläre ich dir später.

Insbesondere Ruhekommandos, wie „Bleib“ oder „Platz“ unter Ablenkung, fallen diesen Hunden schwer. Sie reagieren oft stark und augenscheinlich übertrieben auf Außenreize, beispielsweise Geräusche, und bellen meist viel. Auch ohne Ablenkung kommen sie nur schwer zur Ruhe und man hat immer das Gefühl, der Hund könnte im nächsten Moment wieder aufspringen.

Für den Menschen und das Umfeld (z.B. Nachbarn) sowie nicht zuletzt den Hund selbst ist das sehr anstrengend. Das Verhalten des Hundes verursacht Stress auf allen Seiten und verschärft die Situation dadurch noch mehr. Hundehalter fühlen sich häufig überfordert mit ihrem Hund. Menschen, die mit so einem Hund zu mir ins Training kommen, starten nicht selten mit den Worten „Ich habe schon alles probiert“. Und es ist tatsächlich so, dass die Standard-Lehrbuchmethoden und die gut gemeinten Volksweisheiten, „Du musst den Hund auspowern“, hier nicht helfen.
Diese Tatsache trennt den Hibbelhund vom „normalen“ Hund. Bei einem „normalen“ Hund wird früher oder später, wenn man nur beharrlich genug trainiert, ein Erfolg eintreten. Beim Hibbelhund könnte es bei fortschreitendem Training sogar noch schlimmer werden, je nachdem, was für eine Methode gewählt wurde.

Wie kommt es denn nun, dass ein Hund so dauerhaft unter Strom steht und was kann man tun, um ihm zu helfen?

Die wohl wichtigste Frage, wenn man einen solchen Hund hat – oder generell ein Problem mit seinem Hund hat- ist: Was ist die Ursache?
Wer die Ursache nicht findet, kann stundenlang trainieren und es wird nicht helfen. Denn damit würde erstmal nur das Symptom bekämpft werden. Ein Hund, der aber innerlich nicht zur Ruhe kommt, wird auch durch ein bombenfestes „Platz” nicht Abschalten lernen. Im Gegenteil – er wird noch hibbeliger werden, weil die Anforderung des „Platz“ schon so schwierig für ihn ist, dass er irgendwann die Leistung nicht mehr bringen kann. Schritt eins ist also die Suche nach dem Ursprung.

Gesundheitliche Ursachen müssen vor dem Training geprüft und behoben werden.

Bevor ein Training zur Bekämpfung derart massiver Probleme in Angriff genommen wird, schicke ich meine Kunden grundsätzlich zum Tierarzt. Denn es gibt eine Reihe von Krankheiten, die den Hund unruhig machen können. Ich werde nicht anfangen Einzelne aufzuzählen, denn hier kommt man vom Hundertsten ins Tausendste. Nur zwei Beispiele anbei und der Hinweis, dass es ratsam ist, einen auf Verhaltenstherapie spezialisierten Tierarzt aufzusuchen. Denn gerade in solchen Extremfällen ist es wichtig, dass der Tierarzt weiß, inwieweit bestimmte Krankheiten das Verhalten beeinflussen.

Beispiel 1:

Eine Kundin kam zu mir, weil ihr Hund „keine Sekunde stillstehen oder auch nur langsam laufen“ konnte.

Schon während der ersten Stunde war mir klar, dass es hier nicht mit Training getan sein wird. Mir fiel auf, dass der Hund extrem lange Krallen hatte und die Muskulatur überall verspannt war.

Ich schickte die Kundin mit dem Hinweis, einmal den Bewegungsapparat prüfen zu lassen und die Krallen zu schneiden (sie traute sich das selbst nicht zu), zum Tierarzt. Nach dem Krallenschneiden und dem Tierarzttermin besuchten die beiden noch einen Physiotherapeuten.

Das war nötig, da durch die langen Krallen Fehlbelastungen in allen Gelenken der Beine des Hundes entstanden sind. Die Muskulatur war sehr stark verkrampft. Für den Hund muss sich das schrecklich angefühlt haben.
Nach der Behandlung durch Tierarzt und Physiotherapeuten war unser Training so gut wie nicht mehr nötig. Der Hund lief entspannt um sein Frauchen herum, konnte stehen bleiben und war wie ausgewechselt.

Hier war schlicht der Druck, der im Stehen auf den Krallen – und damit auf den Gelenken- lag, für den Hund sehr schmerzhaft und er versuchte, diesem durch Rennen zu entkommen.

Beispiel 2:

Bei meiner eigenen Hündin stellte sich heraus, dass sie an einer Schilddrüsenunterfunktion leidet und daher dauerhaft unter hormonellem Stress stand. Leider sind nur sehr wenige Tierärzte wirklich mit der Symptomatik und der tiefergehenden Diagnostik vertraut. Erst nach drei Tierärzten, die uns mit „ihr Hund ist vollkommen gesund“ wieder nach Hause geschickt haben, wandte ich mich an eine Spezialistin, die eindeutig eine Unterfunktion feststellte. Seitdem ist Alma mit Tabletten so gut eingestellt, dass sie wie ausgewechselt ist. Auf dieser Basis konnte dann auch endlich ein Training beginnen.
Mehr zum Thema Schilddrüsenunterfunktion beim Hund findest du auf meinem Blog.

Unser Modernes Leben überfordert viele Hunde und unsere Ansprüche an sie haben sich verändert.

Sind körperliche Ursachen ausgeschlossen oder behoben, beginnt meine beratende Tätigkeit als Hundetrainerin.
Meiner Ansicht nach gibt es 3 Hauptthemen, die meistens die Ursache des Verhaltens bilden.

Das sind: Der Tagesablauf, das Maß und die Art der Beschäftigung sowie das (oft nicht vorhandene) Ruhetraining des Hundes.

Ich spanne den Bogen hier etwas weiter, um meine nachfolgenden Aussagen mit Hintergrund zu füllen.
Hunde leben seit Jahrtausenden mit uns Menschen zusammen. Zur Zucht wählten wir Menschen schon immer die Hunde aus, die für die Aufgaben, mit denen wir sie betrauen, besonders geeignet sind. Im Allgemeinen ist das der Wille, mit dem Menschen zusammenzuarbeiten, eine hohe Arbeitsbereitschaft, Schnelligkeit, Ausdauer, Wachsamkeit, … Kurz: Die Leistung stand immer im Vordergrund. In keiner Zucht war es wichtig, dass der Hund besonders gut entspannen kann, wenn um ihn herum viel los ist oder dass er sich zurückzieht, wenn es ihm zu viel wird. Unseren Hunden fehlt also ein „Programm“, das sich „auf sich selbst achten und genügend Ruhe einfordern“ nennt.

Das war früher kein Problem, denn die Hunde waren dazu da, eine Aufgabe zu erfüllen.

Der Wachhund sollte anschlagen, wenn Fremde kommen – den Rest des Tages schlief er. Der Jagdhund wurde in der Jagdsaison mitgenommen und hatte 2-3 Monaten im Jahr eine Leistungsphase, den Rest des Jahres wurde ihm nicht viel Beachtung geschenkt.

Diese natürlichen Ruhephasen fehlen in unserem modernen Leben. Der Organismus des Hundes ist nicht so weit entfernt von dem einer Katze, was das Bedürfnis an Ruhe und Bewegung angeht. Bei einer Katze findet es niemand merkwürdig, wenn sie den ganzen Tag verschläft, aber bei unseren Hund wollen wir, dass sie uns den ganzen Tag begleiten. (Hier gibt es mehr über das Schlafbedürfnis des Hundes)

Außerdem gehört der Hund zur Familie und wir wollen seine Bedürfnisse so gut wie möglich befriedigen. Schließlich steht in jedem beliebigen Hundebuch, man muss den Hund gut beschäftigen. Überall lesen wir, ein Welpe muss bloß schnell und gut alle möglichen Situationen kennenlernen, damit er in der Welt zurechtkommt. Und so überfordern wir unsere Hunde oft schon im Welpenalter. Sich entspannen zu können, das bringen wir unseren Hunden aber nicht bei.

Viele Hunde kommen damit wunderbar klar und scheinen sich gut an unser Leben angepasst zu haben, aber bei einem Hibbelhund ist das nicht der Fall. Plötzlich wird die jahrhundertlange Selektion auf Leistung zum Problem. Der Hund nimmt alles wahr und reagiert auf alle Reize in seiner Umgebung, was in unserer modernen Gesellschaft sowohl für den Hund selbst als auch für die Menschen sehr anstrengend wird.

Wer dann einen aufgedrehten Hund hat, bekommt meist den nicht besonders hilfreichen Ratschlag, er müsste den Hund mehr auslasten. Und dann beginnt sich die Spirale zu drehen. Der Hund bekommt noch weniger Schlaf und mehr Action. Das Adrenalin steigt, der Hund wird reizbarer. Der Mensch macht noch mehr und ein Trainingseffekt setzt ein. Plötzlich „braucht“ der Hund zweimal drei Stunden spazieren gehen, um körperlich müde zu sein. Der Kopf ist deswegen noch lange nicht entspannt. So geht das immer weiter, bis irgendwann Mensch und Hund völlig fertig und unglücklich in ihrem Alltag sind. Aus dem aufgedrehten Hund ist nicht ein entspannter Hund, sondern ein völlig unter Strom stehender geworden.

Was kann man also tun, um dem Hund im Alltag zu Entspannung zu verhelfen?

Der Tagesablauf des Hundes darf gerne aus Menschensicht langweilig sein.
Zwei Stunden pro Tag gemütliches Spazieren gehen reichen für alle Hunde vollkommen aus (auch für einen Husky, oder, oder…, denn wir sprechen hier von Hibbelhunden, die ein Problem mit Ruhe haben – das will erstmal gelernt werden).
Schön sind Beschäftigungen, die körperlich ruhig ablaufen, z.B. Leckerli in der Wiese suchen oder Fährtenarbeit. Beim Ball werfen oder anderen körperlich anspruchsvollen Beschäftigungen fließt vermehrt Adrenalin durch den Körper und das ist das, was wir bei so einem Hund nicht dauerhaft haben möchten und erstmal reduzieren wollen.

Dazu ein paar Minuten ruhige Übungen oder Suchspiele zu Hause, vielleicht auch einfach nur Kuscheln und zusammen gemütlich sein.

Wenn der Hund gut alleine bleiben kann, ziehe ich immer die Option vor, ihn für maximal 5 Stunden alleine zu Hause zu lassen, statt ihn mit ins Restaurant oder zum Einkaufen zu nehmen. Sofern der Hund entspannt alleine ist, ist das eine wunderbare Zeit, in der er sich eine Portion Schlaf ohne Unterbrechungen durch uns Menschen gönnen kann.

Vielen Hunden tut es außerdem gut, wenn sie gewisse Rituale haben, die für sie eine Sicherheit im Ablauf schaffen und es so weniger aufregend ist. Andere Hunde hingehen werden durch Rituale zu fixiert auf das, was als nächstes kommt und regen sich dann schon eine Stunde vor dem nächsten Spaziergang auf. Hier weißt du am besten, was gut für deinen Hund ist und kannst das einschätzen oder ausprobieren.

Mach dir bewusst, welche Aktivitäten deinen Hund aufdrehen und versuche, diese zu reduzieren. Wenn das tägliche Spiel mit dem Ball deinen Hund so hibbelig macht, dass er nicht mehr ansprechbar ist, dann lass es weg.

Das Adrenalin, das in der Situation im Hundekörper gebildet wird, braucht bis zu einer Woche, um abgebaut zu werden.
Hier liegt auch die Erklärung, warum Hunde oft zum Ende des Urlaubs ihre Ohren auf Durchzug stellen – das Stresslevel im Urlaub ist durch die ganzen anderen Abläufe und die meist zu kurzen Ruhephasen einfach zu hoch.

Hunde, die zu mir ins Training kommen und solche Probleme mitbringen, bekommen im ersten Schritt eine Reizdiät verordnet und machen erst einmal „Wellness”, um runterzukommen. Kein Radfahren, kein Ballspielen, keine Besuche auf der Hundewiese.
Wenn dann wieder ein Normalmaß eingeführt ist, beginnen wir geeignete und ruhigere Beschäftigungen für den jeweiligen Hund mit seinem Menschen zu suchen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Üben/Erlernen des „zur-Ruhe-Kommens“. Regelmäßige Hunde-Massagen abends vor dem Fernseher können dem Hund beim Entspannen helfen. Dann kann diese Entspannung mit einem Signal (ein Wort, eine Melodie, eine Decke, ein Halstuch, ein Duft….) verknüpft werden. Hat der Hund gelernt, was das Signal bedeutet, kann es auch in aufregenderen Situationen genutzt werden, um dem Hund zu mehr Ruhe zu verhelfen.
Dieses Signal ist anschließend wie eine Batterie.

Du musst es immer wieder mit Ruhe „aufladen“, um es in stressigen Situationen nutzen zu können. Nutzt du es anderenfalls nur noch in aufregender Stimmung, wird es später mit Aufregung verbunden sein.

Ein Beispiel, wie das dann aussehen kann, findest du hier im Video meiner Hündin.

Wenn dein Hund dann einen ruhigeren Tagesablauf hat und ein Entspannungssignal kennt, kannst du beginnen einzelne Situationen, die für ihn stressig sind, zu trainieren.
Solange der Hund sich grundsätzlich auf einem hohen Stresslevel bewegt, macht Training keinen Sinn, denn er kann in diesem Zustand nicht lernen. Die Zeit wäre somit vergebens investiert. Nimmst du dir allerdings vorher die Zeit, um eine gute Ausgangsbasis in eurem Alltag zu schaffen, sind die Erfolgschancen im Training sehr hoch. Einem entspannterem Leben sowie glücklicherem Mensch und Hund steht damit nichts mehr im Wege.


Von Sarah Both

Mein Name ist Sarah Both und ich möchte dir zu einem entspannteren Umgang mit deinem Hund verhelfen.

In diesem Zusammenhang gibt es für mich nichts Schöneres als wortloses Verstehen zwischen Mensch und Hund.

Mein Ziel ist es, im Einklang mit dem Hund und der Natur zu leben. Den Weg zu dieser Idylle möchte ich auch dir und deinem Hund ebnen. Ganz besonders am Herzen liegen mir hierbei die nervösen (hyperaktiven, sensiblen) Hunde dieser Welt.
Ich zeige dir euren individuellen Weg zum entspannten Alltag.

Aber auch gemütlichere Charaktere können ihre Problemchen haben.
– Wir lösen gemeinsam deine alltäglichen Hundeprobleme.

8 kostenlose Tipps für einen entspannten Alltag mit Hund erhältst du hier: http://bothshunde.com/entspannter-alltag/

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